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Gedanken zum Thema "Glück"

Oft berichten mir Menschen, dass sie „glücklich“ werden wollen. Und zur Betonung benutzen manche auch das Adjektiv „endlich“ dazu. Auf meine Frage, was sie genau damit meinen, reagieren sie aber meistens erstaunt. Wie kann es sein, dass ich, als Psychiater, nicht weiß, was einen Menschen glücklich macht. Das weiß ich aber nicht und ich glaube niemand kann wissen, was jeden einzelnen Menschen auf der Erde „glücklich“ macht. Interessant finde ich, dass manchmal auf meine Frage keine Beschreibung der eigenen Vorstellung des „Glücks“ erfolgt, sondern eine lapidare Antwort bekomme, wie „Sie wissen doch, eben glücklich sein“.

 

Mit der Suche nach dem Glück befassen sich mehrere Bücher. Jede Buchhandlung hat mindestens einige Titel zum Thema in Vorrat. Sogar Romane wurden rund um die Suche nach dem Glück verfasst (z.B. Francois Lelord‘s „Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück“). Woran würden wir aber merken, dass wir glücklich sind und was ist dieses Glück, dass wir anscheinend ständig suchen müssen?

Ruut Veenhoven schreibt in dem Buch, „Glück – The new world book of happiness“, dass das Wort „Glück“ einen Übergriff für alles was gut ist, darstellt. Er berichtet weiter, dass Glück als „der Grad, in dem ein Individuum die allgemeine Qualität seines oder ihres Lebens als Ganzes günstig bewertet“, ist. Glück wird somit individuell beurteilt und ist subjektiv. Deswegen macht es Sinn wissen zu wollen, was für uns selbst „Glück“ ist, da dies für jeden etwas anderes bedeuten kann. Außerdem zeigt dies auch, dass wir uns selber „unglücklich“ machen können, wenn wir wollen, was wir nicht haben und nicht was wir bereits haben, als wertvoll schätzen. 


„Beim Unglüklichsein geht es um die Kluft zwischen dem, was man hat, und dem was man will.“

Philippe Van Parijs


In dem Buch „Die Kunst des guten Lebens“ berichtet Rolf Dobelli über eine wissenschaftliche Untersuchung zur Fragestellung: Sind Silber-, oder Bronze-Olympia-Medaillen-Gewinner glücklicher? Die Untersuchung lief, laut Dobelli, während der Olympischen Spiele 1992 in Barcelona ab und man fand heraus, dass die Silbermedaillengewinner unglücklicher, als die Bronzemedaillengewinner waren. Dies lag daran, dass die Silbermedaillengewinner ihr „Glück“ an der „unerreichten“ / „verlorenen“ Goldmedaille maßen, während die Bronzemedaillengewinner, ihr „Glück“ an dem Zustand „keine Medaille“ gewinnen zu können, maßen. Somit stellte sich heraus, dass der Gewinn einer Bronze-Medaille „glücklicher“, als der Gewinn einer Silber-Medaille, macht. Dies ist nur eines von mehreren Paradoxe, rund um das Glück.

 

Mike W. Martin, rät zum Beispiel, dass man um Glück zu bekommen, das Glück „vergessen“ sollte. Man solle sich, statt mit seinem „Glück“ ständig zu beschäftigen (sich fragen, was dies ist; sich überlegen, wie man dies erlangt; bzw. den Preis, den wir für unser Glück zahlen müssen, überprüfen) sich „auf wertvolle Aktivitäten und Beziehungen fokussieren“. Diese stellen die Basis für ein „gutes Leben“ dar. Zusätzlich merkt Martin an, dass das Glück auch an der Haltung des jeweiligen liegen kann. Somit könnten wir alles bereits haben, „was wir zum Glück brauchen, wenn wir nur das zu schätzen lernen, was wir bereits haben“. Somit gibt es, wie auch Philippe Van Parijs schreibt, „zwei Wege, auf denen jeder und jede von uns versuchen kann, glücklicher zu werden: das, was wir haben, dem anzunähern, was wir wollen, und das, was wir wollen, dem anzunähern, was wir haben“.


„Glück entsteht nicht, wenn wir bekommen, was wir wollen, sondern wenn wir wollen, was wir bekommen und schon haben.“

Mike W. Martin


Falls Sie lieber Leser nun, nach dieser Lektüre, sich selber über das eigene „Glück“ hinterfragen und das Gefühl haben, dieses noch nicht erreicht zu haben, seien Sie getrost. Sie werden mit zunehmenden Alter „glücklicher“. Sonja Lyubomirsky berichtet, dass Forschungsergebnisse zeigen, dass „ältere Menschen glücklicher und mit ihrem Leben zufriedener, als jüngere“ sind. Als Erklärung für diese Erkenntnis berichtet die Autorin, dass sich ältere Menschen mehr auf die Gegenwart konzentrieren und ihre „(relativ begrenzte) Zeit und Kraft in die Dinge im Leben investieren, die wirklich von Bedeutung sind“. Somit wird in der Pflege von bedeutsamen Beziehungen mehr Zeit, als in dem „Kennenlernen neuer Menschen oder dem Eingehen von Risiken“, investiert. Als Gipfelpunkt positiver emotionaler Erfahrungen, wird von der Autorin das Lebensalter von 64, 65 bzw. 79 Jahren, angegeben.

Das Streben nach „Glück“, dem individuellen Wohlergehen, erscheint logisch und begleitet uns unser ganzes Leben lang. Wenn man „Glück“ als Beschreibung von individuellen und gesellschaftlichem Wohlergehen definiert, wird deutlich, dass „Glück“ ein „willkommenes Nebenprodukt“ des Führens eines „guten Lebens“ sein kann. Eines Lebens, welches wir, wie Philippe Van Parijs schreibt, „bei reiflicher Überlegung, nach unseren eigenen Maßstäben, für gut befinden können“. Zu diesem Zweck braucht man keine Ratgeber oder Sachbücher studieren. Um ein „gutes Leben“ führen zu können, hilft, dass wir das eigene Leben als „Beitrag zu etwas ansehen, das über die Grenzen unserer eigenen vergänglichen Person hinausgeht“. Dies kann die Familie oder eine andere Gruppe oder Organisation oder Idee sein. Und so kann man, wie Van Parijs schreibt, das Glück als ein Nebenprodukt finden von „das zu tun, was wir tun zu müssen glaubten“.


Quellen:

Rolf Dobelli. Die Kunst des guten Lebens. 52 überraschende Wege zum Glück. Piper Verlag, 2017.

(daraus zitiert: Kapitel 38: Mentale Substraktion – Wie Sie sich ihres Glücks bewusst werden)

 

Leo Bormans. Glück. The New World Book of Happiness. DuMont Buchverlag, Köln, 2017.

(daraus folgende Essays zitiert:

Sonja Lyubomirsky – Sieben Mythen über das Glück.

Mike W. Martin – Paradoxe des Glücks.

Philippe Van Parijs – Ein gutes Leben.

Ruut Veenhoven – Was wir über „Glück“ wissen)